Ernst Happel war ein waschechter Wiener. Er spielte schon als Jugendlicher beim SK Rapid und stieg später zu einem der besten Spieler in der Geschichte des österreichischen Rekordmeisters auf. Er liebte die Wiener Kaffeehäuser und brauchte die Atmosphäre in Hütteldorf, um zufrieden zu sein. Doch als sich seine Spielerkarriere dem Ende zuneigte, entschied sich Happel Wien und Österreich zu verlassen, die großen Erfolge waren seiner Meinung nach nur im Ausland möglich.
Trotzdem zog es den damals 37-Jährigen zu ADO Den Haag, einem notorisch unterlegenen Club in der niederländischen Ehrendivision. Es ist vielleicht vermessen seine späteren Erfolge am ersten Tag in Den Haag festzumachen, aber Happel verschaffte sich mit seiner legendären Dosentaktik soviel Respekt bei seinem Team, dass ihm seine Spieler überall hin gefolgt wären:
In Den Haag regnete es in Strömen und die Abstiegskampf gewohnten Akteure wollten lieber nach Hause als zu trainieren. Doch der neue Trainer scheuchte die Spieler raus, stellte eine Getränkedose auf das Lattenkreuz und schoss sie im ersten Versuch wieder herunter. Die Spieler bekamen ebenfalls alle einen Versuch und wer es Happel hätte nachmachen können, hätte Training Training sein lassen dürfen. Alle scheiterten und Happel konnte seine Übungseinheit wie gewünscht durchziehen. Aus dem Abstiegskandidaten wurde in den folgenden sechs Jahren eins der besten Teams der Niederlande – gekrönt mit dem Pokalsieg 1968, Happels erstem Titel als Trainer.
Happel, die Feyenoord-Legende
Doch egal welche späteren Weggefährten man über Happel befragt, die unzähligen Titel sind zwar wichtig und gehören zu seiner Vita dazu, der Respekt vor dem Menschen Happel ist ungleich größer. Egal ob Günter Netzer, Felix Magath oder auch Aleksandar Ristic – sie alle danken noch heute für ihre Erfahrungen mit dem „Wödmasta“, wie er in Österreich genannt wurde. Stellvertretend lassen wir Willem van Hanegem zu Wort kommen: „Ernst Happel war der Beste. Mit seiner Philosophie war er seiner Zeit weit, weit voraus. Er hatte großen Einfluss auf den totalen Fußball in den Niederlanden und auf meine Karriere als Spieler und Trainer.“
Van Hanegem begegnete Happel auf dessen zweiter Trainerstation. Bei Feyenoord Rotterdam bekam er nach seiner Zeit in Den Haag erstmals eine Mannschaft, die mit seinen Ansprüchen und Ideen zu Historischem imstande war. Als niederländischer Meister war Feyenoord für den Europapokal der Landesmeister qualifiziert und am Ende sprang der größte Erfolg in der Vereinsgeschichte heraus. Nach Siegen über Reykjavik, den AC Mailand, Vorwärts Berlin und Legia Warschau wartete im Finale Celtic Glasgow und Ove Kindvall schoss Rotterdam in der Verlängerung zum Titel. Später gewann Feyenoord auch noch den Weltpokal – Happels Weg zur Legende war zumindest in Rotterdam geebnet.
Doch was meinte van Hanegem, wenn er davon sprach, Happel sei seiner Zeit weit voraus gewesen? „Wenn wir den Ball haben, hat ihn der Gegner nicht!“ Mit dieser einfachen Vorgabe prägte Happel alle seine Mannschaften, er ließ das von ihm entwickelte und so geschätzte Pressing immer wieder einüben. Die Attacke auf die gegnerischen Spieler begann schon in deren Hälfte, die Räume sollten extrem eng gemacht werden und da Happel auch die Abseitsfalle liebte, verschob sich das Spielgeschehen viel weiter nach vorne, als man es gewohnt war.
Happel, der Journalisten-Feind
So gut er mit seinen Spielern ausgekommen ist, und das obwohl er immer eine gewisse Distanz gehalten und sein Image als Grantler gepflegt hat, mit Journalisten pflegte Happel eher ein Nicht-Verhältnis. Um diesen Umstand zu verstehen, ist ein Blick in die nicht minder ereignisreiche Zeit als Spieler erforderlich. 1942 debütierte Happel in der ersten Mannschaft von Rapid und nach dem Weltkrieg wurde der am 29. November 1925 geborene Wiener Stammspieler.
Mit weiteren Größen wie den Brüdern Robert und Alfred Körner, Torwart Walter Zeman oder Leopold Gernhardt prägte Happel die kommenden Jahre bei Rapid, insgesamt sechs Meistertitel und einen Pokalsieg feierte Aschyl, wie er wegen der Ähnlichkeit mit einem türkischen Schauspieler genannt wurde, mit Rapid. Er galt als Chef auf dem Platz und modernisierte das Spiel, indem er sich vom Vorstopper zum Libero entwickelte.
Auch in der österreichischen Nationalmannschaft gehörte Happel zum Stamm. Er nahm an den Weltmeisterschaft 1954 und 58 teil, insgesamt trug er das Fixleiberl 51 Mal. Bei der WM in der Schweiz verlor Österreich gegen den späteren Weltmeister Deutschland im Halbfinale mit 1:6. In den Medien wurden Bestechungsvorwürfe gegen Abwehrmann Happel und Torwart Zeman laut. Happel war tief gekränkt, verließ sogar für zwei Jahre sein geliebtes Rapid in Richtung Paris und bestrafte fortan Journalisten mit extrem kurzen und häufig ironischen Antworten.
1986 gab Happel in seiner Zeit beim HSV dem Spiegel ein Interview, in dem klar wurde, wie verwurzelt seine Abneigung gegenüber den Medien war. „Ich bin nicht neugierig auf Sensationen und brauche keinen, der mir das Wort im Mund herumdreht und etwas anderes schreibt, als ich gesagt habe. Das ist kein Vertrauen, ich rede nicht von jedem, aber solche Journalisten verärgern mich, und da müssen die anderen, die vielleicht normal schreiben, drunter leiden“, sagte Happel in dem Interview und auf die Frage, welchem Journalisten er denn vertrauen würde, ergänzte der Trainer: „Den gibt es nicht. Ich bin ein Fußball-Trainer, wenn ich ein Schriftsteller wär, könnt ich Ihnen einen Roman erzählen.“
Happel, der Lebemann
Sein Verhältnis zu den Medien („Schreiben’s was Sie woll’n, is mir eh wurscht“) hatte entscheidenden Anteil an Happels Grantler-Image, doch in demselben Interview bestätigte er die Einschätzung: „Granteln, granteln, ich muss halt granteln in der Früh. Wenn ich das tu, ist der ganze Tag besser für mich. Wenn ich nicht granteln kann, ist es für mich ein schlechter Tag. Wenn ich in Wien im Kaffeehaus hocke, dann kann ich einen richtigen Wirbel machen.“
Wirbel konnte Happel aber auch an anderer Stelle machen. Der „Wödmasta“ war ein Lebemann, er trank gerne Alkohol, war Kettenraucher, im Glücksspiel fand er Entspannung und die Bezeichnung Weiberheld ist keineswegs als Beleidigung gemeint. Der Journalist Karl Koban beschrieb das Verhältnis zum weiblichen Geschlecht in dem Buch Sportgrößen der Nation: „De san ihm ja nachg’rennt. Net nur, weil er großzügig war. Er hat schon a G’spür g’habt, wie man a Frau behandelt.“
Auch auf dem Platz war Happel für unterhaltsame Anekdoten zu haben, wenn es denn dem Erfolg dienlich war oder ihn zumindest nicht gefährdete. In einem Vorbereitungsspiel auf die WM 1954 führte Österreich gegen eine Vorarlberg-Auswahl mit 14:0, da schnappte sich Happel einfach den Ball und jagte den Ball aus 20 Metern am verdutzten Zeman vorbei ins eigene Netz. Happels Rechtfertigung klang jedenfalls logisch: „Mir war fad. Und außerdem hat der Tiger (Zeman) auch was zum Arbeiten gebraucht.“
Edi Krieger, einer von Happels Spielern beim FC Brügge, wusste im österreichischen Magazin Ballesterer zu berichten, dass er einmal von Happel nach der Sperrstunde erwischt wurde und im Anschluss bis fünf Uhr morgens mit Happel dem Cognac frönen durfte. Am nächsten Morgen bat Happel dann aber zum knallharten Konditionstraining: „Der Happel packt Bleiwesten, Medizinbälle und macht eine Kondi-Einheit. Und jedes Mal, wenn ich an ihm vorbei gerannt bin, hat er gesagt: ‚Wos is? Host Cognac in de Fiass?’“ Wer feiern konnte, der musste bei Happel auch arbeiten können.
Happel, der Tänzer
Nach seiner Zeit bei Feyenoord heuerte Happel kurz bei Betis Sevilla an, um danach den FC Brügge zwei Mal in europäische Finalspiele zu bringen. Im Anschluss führte er die Niederlande bei der WM 1978 zum zweiten Platz und ging wieder nach Belgien, erst nach Harelbeke und im Anschluss zu Standard Lüttich – mit Lüttich holte er den belgischen Pokal.
Und danach begann seine Zeit beim Hamburger SV. Der Cola-Dosen-Trick aus Den Haager Zeit klappte auch 1981 auf dem Hamburger Trainingsgelände am Ochsenzoll, allerdings schoss neben Happel mit Franz Beckenbauer tatsächlich auch ein Spieler die Dose von der Latte. Trotzdem war der Respekt bei den HSV-Profis von der ersten Minute an präsent, Spieler wie Horst Hrubesch, Thomas von Heesen, Uli Stein oder Felix Magath wären für Happel durchs Feuer gegangen.
Deshalb war es wie bei allen Vereinen, die er trainierte. Happel hatte den Erfolg im Gepäck. Der HSV holte in Happels erstem Jahr die deutsche Meisterschaft, wiederholte den Erfolg im Jahr darauf und blieb saisonübergreifend vom 16. Januar 1982 bis zum 29. Januar 1983 in 36 Spielen hintereinander ungeschlagen.
1983 führte Happel die Hamburger zum Sieg im Europapokal der Landesmeister (im Finale schoss Magath das 1:0-Siegtor gegen Juventus Turin) und ließ sich auf der Ehrenrunde mit der Mannschaft grantleruntypisch für kurze Zeit gehen. Happel legte auf der Laufbahn ein Tänzchen hin und beeindruckte Fans und Spieler, wie Stein Jahre später erzählte: „Er ließ sich gehen in einer Art und Weise, die vorher für so unwahrscheinlich gehalten wurde wie ein öffentlicher Auftritt des Papstes in der Badehose.“
Nach der Zeit beim HSV war für Happel die Zeit für eine Rückkehr in die Heimat gekommen. Der FC Swarovski Tirol holte mit dem Heimkehrer noch zwei Meistertitel, ehe Happel 1992 sein Lebenswerk mit der Rolle als Teamchef der Nationalmannschaft vollenden wollte. Doch am 14. November 1992 starb Happel an Lungenkrebs – das Länderspiel gegen Deutschland vier Tage später wurde zu einer großen Gedenkveranstaltung. Happel selbst wäre bestimmt lieber ins Kaffeehaus gegangen.
Autor: Marcus Krämer